SKARIFIKATIONEN UND LIPPENPFLÖCKE

 

Viele keramische oder hölzerne Skulpturen Westafrikas sind durch starke Stilisierung des menschlichen Körpers gekennzeichnet, indem Einzelheiten wie Finger,

Abb. 73.  Von Hirten angefertigte Lehmpuppe

 Zehen, Ohren usw. fehlen, und selbst die Arme nur stark verkürzt angedeutet werden. Als Beispiel für Holzfiguren dieser Art sei an die so genannten "Mossi-Puppen" erinnert oder an die Erzeugnisse der jungen Kuhhirten Nordghanas in Ton (Abb. 73). Die bei der entsprechenden Ethnie gebräuchlichen Stammes- und

 Schmucknarben werden jedoch fast immer in detaillierter Form angebracht. Auch bei den Terrakotten des Niger-Binnendeltas (Djenné, Bankoni) ist Narbenschmuck an fast allen Körperteilen reichlich vertreten. Trotz einer gewissen Verwandtschaft der Koma-Terrakotten mit denen des Niger-Binnendeltas in vereinzelten Formelementen finden wir bei ersteren nur relativ wenige Beispiele, die wir mit einer gewissen Sicherheit als Narbentatauierungen identifizieren können. Die kategorische Behauptung von Beltrani (1992: 431, Fußn.), dass die Komaland-Figuren keine Skarifikationen aufweisen, ist jedoch nicht haltbar.

Insoll/Kankpeyeng/Nkumbaan erwähnen mit Bezug auf die von ihnen ausgegrabenen Figuren das Vorkommen von mutmaßlichen Skarifikationen am Fuß, Arm und an der Schulter (2012: 35f). Kankpeyeng hält es für möglich, dass ein ausgegrabenes Eisenmesser auch für Skarifikationen, Beschneidungen und chirurgische Eingriffe benutzt wurde (2011: 3).

 

Gesichtsnarben

Abb. 74

Tribal Marks?

(nach Anquandah 1987)

Gesichtsnarben, die die Funktion von Stammesnarben gehabt haben können, finden sich bei den untersuchten Figuren bisher nur in einem einzigen, ziemlich gesicherten Fall (Abb. 74) bei einer von Anquandah ausgegrabenen Figur (1987:16). Je zwei Narben ziehen sich von der Nasenwurzel quer über die Wangen. Sie entsprechen in dieser Form genau den Stammesnarben, wie sie von einem Teil der Bulsa (Kröger 1987: 118ff.), aber auch von anderen Ethnien Nordghanas getragen werden (Armitage 1913), als Teil einer

Abb. 75

 

 umfassenderen Gesichtsskarifikation sogar schon bei Nok-Terrakotten (B. Fagg 1977, Abb. 24, 25, 57, 62) auftreten.

An einem Kopf (Abb. 75) der Komaland-Terrakotten ziehen sich je zwei Rillen in Mundhöhe quer über das ganze Gesicht bis zu den Ohren. In der oberen Rille liegen die beiden Nasenlöcher, in der unteren der Mund. Obwohl auch bei einigen Gruppen des heutigen Nordghanas Gesichtsnarben an den Mundwinkeln ansetzen, bleibt die Bedeutung der hier dargestellten Rillen doch ein Rätsel. Die untere könnte als eine stilisierte Verlängerung des Mundes gedeutet werden, aber für die obere findet sich keine einleuchtende Erklärung. Die hier beschriebene Darstellung ließe sich mit Abbildungen 76-78 vergleichen, bei der zwischen Nase und Kinn fünf parallele Rillen, die bis zu den Ohren verlaufen und vielleicht vervielfältigte Lippen darstellen sollen.

Abb. 76 Abb. 77 Abb. 78

 

Im Katalog der Manchester-Ausstellung erscheint das Foto eines Kopfes (2013:16; Text: S. 17), bei dem sich zwischen Nase und Kinn sechs Tonwülste ringförmig um den Kopf legen. Die Herausgeber sprechen von einem zugebundenem Mund (bound mouth), wodurch vielleicht der Status der dargestellten Person als Gefangener oder Sklave angedeutet wird. Wie weit eine gedankliche Verbindung zu dem oben beschriebenen Typus besteht, bei dem in der gleichen Weise Rillen (und nicht Wülste) abgebildet werden, ist schwer zu entscheiden.

 

Abb. 79

Rechteckige Schläfenskarifikationen

Mehrere Kulturen Westafrikas kennen an ihren anthropomorphen Skulpturen rechteckige Narbenornamente zwischen äußeren Augenwinkeln und Ohren. Recht häufig finden wir sie bei den Tonfiguren des Niger-Binnendeltas, aber auch an den Holzfiguren der Dogon/Tellem und Akan, weniger oft bei den Komaland-Terrakotten. Hier hebt sich das mit waagerechten oder senkrechten Strichen ausgefüllte Rechteck über der Hautoberfläche deutlich als Flachrelief ab (Abb. 79).

 

Brust- und Bauchnarben

Darstellungen von Bauchskarifikationen kommen bei den Komaland-Terrakotten in geringer Anzahl bei männlichen und weiblichen Figuren vor. Ein sehr aufwändiger Narbenschmuck, der vom Nabel bis zu den Brüsten einer weiblichen Figur reicht (Abb. 80), weist Übereinstimmungen mit der Bauchskarifikation eines Lobi-Mannes auf, wie er bei P. Meyer (1981: 55) anhand eines alten Fotos aus dem Jahre 1934 abgebildet ist (Abb. 81), und auch mit den Bauchskarifikation einer Sara-Frau (Abb. 82) aus dem Tschad-Gebiet (Fisher 1984: 110). Allen drei Darstellungen gemeinsam ist ein aus punktförmigen oder länglichen Narben bestehendes elliptisches oder rautenförmiges Skarifikationsmuster, das durch vertikale Narbenreihen in zwei Teile geteilt wird und zwischen Nabel und Brust liegt. Bei anderen Koma-Figuren männlichen oder unbestimmbaren Geschlechts (Abb. 83) besteht der Bauchschmuck nur aus 2-3 senkrechten Reihen von Einstichen. Strahlenförmige Einschnitte rings um den Bauchnabel, wie sie heute so typisch für Nordghana sind, konnten an keiner Figur der Komaland Terrakotten beobachtet werden.

 

Abb. 80 Abb. 81 Abb. 82 Abb. 83

 

 

Arm- und Schulternarben

Abb. 84

Neben Gesicht und Bauch waren auch Schultern und Oberarme ein Platz für Narbentatauierungen, denn bei einer männlichen Figur (907Z) finden sich die gleichen Einstiche, wie sie an dem Bauch auftreten, auch auf der rechten Schulter. Bei anderen (Abb. 84) sieht man ähnliche Einstiche in je drei Reihen auf beiden Schultern oder Oberarmen.

Neben den eingeritzten Andeutungen wurden auch noppenähnliche oder längliche Knopfnarben auf den Schultern dargestellt, es ist aber nicht sicher, ob es sich hier wirklich um Knopfnarben oder vielleicht eher Beulen handelt.

 

Lippenpflöcke

Abb. 85

Im Begleitheft der Komaland Ausstellung in Manchester (2012: 33) wird eine kleine flachzylindrische Quarzscheibe abgebildet, die die Autoren als Lippen- oder Ohrpflock bezeichnen. Dieser Deutung kann man zustimmen, da auch im Werke Rattrays (1932, Fig. 113 nach S. 438 und Fig. 114, nach S. 446) nordghanaische Lobi-Frauen mit ähnlichen Lippenpflöcken oberhalb der Oberlippe und unterhalb der Unterlippe abgebildet werden. An den Terrakotta-Figuren konnten solche Lippenpflöcke nicht eindeutig nachgewiesen werden, wenn man die Darstellungen in Abbildung 85 nicht als Bartform oder Kinn, sondern als Unterlippenpflock interpretieren will.