Der Buschherr (goai-nyono oder goai-kpagi)

 

Viele Bulsa verstehen unter goai-nyono (Buschherr, wörtlich ‘Besitzer des Buschlandes’) oder - zutreffender - goai-kpagi (Vorsteher, Chef des Buschlandes) nur den Veranstalter und Leiter aller großen Jagdunternehmungen1, der auch Großjagden (z.B. Treibjagden) anderer Jäger genehmigen muss. Diesen Eindruck versuchte auch der in Wiaga-Kubelinsa lebende goai-nyono mir gegenüber zu vermitteln. Keineswegs empfindet er sich als Herr des Buschlandes, und die früher vielleicht stärker akzentuierte Funktion des „Herrn der Buschtiere” scheint mittlerweile verblasst zu sein.

Da es heute, wie gesagt, kein herrenloses Buschland mehr gibt, gehört das Land dem ersten besitzergreifenden Ahnen und im Nießbrauchrecht seinen Nachkommen. Diese stehen auch in ihrer Rolle als Jäger unter dem Schutz des tanggbain ihrer väterlichen Lineage. Die weit entfernten Jagdgebiete gehören gewöhnlich zum Bereich eines anderen tanggbain, mit dem die fremden Jäger aber nicht persönlich in Kontakt treten.

Vor einer geplanten Großjagd geht der goai-nyono zu einem Wahrsager (baano), um einen günstigen Termin und notwendige rituelle Vorbereitungen für das Unternehmen zu erfragen. Dann kündigt er die Jagd, an der jeder teilnehmen kann, z.B. auf dem Markt an einem Markttag an. Am Vorabend opfert er in seinem Gehöft dem ersten Ahnen, von dem er sein Amt übernommen hat, eine Ziege. Nach Auskunft des Jägers Ayomo Ayuali (Wiaga-Badomsa), der mit mehreren Buschherren befreundet war, „opfert” der goai-nyono auch dem tanggbain, in dessen Bezirk er jagen will, ohne Anwesenheit des zuständigen teng-nyono ein Huhn. Er legt das lebende Tier auf den Opferstein und erwartet, dass die wilden Tiere sich das Huhn selbst holen werden. Es ist also eher eine Gabe an die jagdbaren Tiere als an das tanggbain.

Ist ein Jäger erfolgreich, so muss er von jedem erlegten größeren Tier (z.B. Antilopen) dem goai-nyono ein Vorderbein (bogi) abgeben. Kleinere Tiere (z.B. Hasen und Perlhühner) darf der erfolgreiche Schütze ganz für sich behalten. Auch bei einem Streit zwischen zwei Jägern über ein erlegtes Tier tritt der goai-nyono als Schlichter auf und erhält hierfür einen Anteil des Tieres (vgl. auch Schott 1973/74: 298).

Moderne Jäger, die allein mit einer Feuerwaffe Jagdzüge unternehmen, haben heute gewöhnlich keine Kontakte mehr zu einem Buschherrn oder zu einem fremden tanggbain im Buschgebiet, wohl können sie das tanggbain ihrer eigenen Sektion um eine erfolgreiche, unfallfreie Jagd und bitten.

Nach Tauxier (1912: 739) spielt der Erdherr bei Jagdzügen der Bulsa eine Rolle. Der Autor erwähnt jedoch auch einen chef de la chasse, ohne näher zu erklären, was die Bulsa unter diesem Titel verstehen.

...nos gens font la chasse collective, tout le village réuni, à la saison sèche et chaude. Ils y vont plusieurs fois. C’est le chef de la Terre, qui prépare le poison pour tout le village et qui empoisonne les flèches. C’est aussi le chef de la Terre qui offre le sacrifice pour la chasse, chaque fois qu’on y va, à la Brousse, à la Terre et au Marigot... Chaque chasseur qui tue une grosse pièce en donne un épaule et la peau au chef de la chasse. Si c’est une petite pièce on ne donne rien.

 

Fortsetzung: Der Regenschrein (ngmoruk)


Endnote

1Über die Durchführung von Jagden, jagdbare Tiere und die Funktion des Buschherren vgl. auch Schott 1973/74: 297-300 und Kröger 2001: 642-651.